Das Städtchen Üscharal liegt in der Nähe des Sees. Hier blieben wir einige Tage, um wie einst Brehm die gegend zu erkunden. Der große Alakölsee wird durch ein Sumpfgebiet mit den nordwestlich gelegenen Kosharkol- und dem Sasykkolseesee verbunden. In einem kleinen Fischerdorf am Kosharkolsee lernten wir Erzahn kennen. Aber alle nennen ihn Jack. „Wie Jack London. Mein Bruder hat mir diesen Spitznamen in der Kindheit verpasst“, sagte er. Vor zehn Jahren hat Jack mithilfe von europäischen Fördermitteln eine kleine Fischzucht in dem Dörfchen aufgebaut. Politiker, Wissenschaftler, Geschäftsleute aus Russland und Europa seien schon hier gewesen, erzählte er uns. Die kleine Station dient dem Erhalt der Biodiversität des Alakölsees. In diesem tummeln sich um die zwanzig Fischarten, wobei der Karpfen am häufigsten vorkommt. „Wir haben hier alles selber aufgezogen und helfen sowohl den Leuten, als auch der Natur“, betonte Jack, als er uns durch die kleine Halle mit mehreren Fischbecken führte. Die Leute in den kleinen Dörfer am See lebten allein von der Fischerei.
Anschließend wurden wir auf einen Tee in das Arbeiterhaus eingeladen. „Was kann ich euch bloß anbieten“ sagte Jack, als er einen Blick in den Kühlschrank warf. Mit einem freudigen „Ha!“ holte er einen Teller heraus, auf dem ein Schafskopf lag. Der Schafs- oder Lammkopf wird nach nomadischer Tradition dem Ehrengast serviert. Dass wir ausgerechnet in einem Fischerdorf zu dieser unerwarteten Ehre kommen durften, hätten wir auch nicht gedacht. Beim Tee erzählte Jack, dass er es nicht allein bei der Fischvermehrung belassen möchte. Er plant eine Verarbeitungsanlage, in der allerlei Fischprodukte von Filet bis Burgerpatties hergestellt und von hier aus in andere Länder exportiert werden sollen. „Ich brauche etwas Kapital und einen Geschäftspartner mit dem ich zusammenarbeiten kann. Am liebsten einen Deutschen.“ Interessierte Leser:innen können sich gerne bei uns melden, wir vermitteln weiter.
Wenn man man See entlang spaziert, lauscht man einem Konzert von Froschgequacke und vielfältigem Vogelgezwitscher. Nicht umsonst gilt das Gewässer mit seinen zwei Inseln international als ein wichtiges Vogelgebiet, das unter Schutz steht. Vogelbeobachter:innen können während der Brutzeit im Frühjahr bis zu neunzig Vogelarten rund um den See sichten, vor allem Reliktmöwen, Singschwäne, Seeadler und Jungfernkraniche. Volkers und meine ornithologischen Kenntnisse reichten jedoch nur zur Bestimmung eines Schwanenpaares.
Am folgenden Tag machten wir uns auf nach Lepsi. In seinen Aufzeichnungen schwärmte Brehm von diesem Dorf und der Landschaft. Es sei geradezu paradiesisch. Uns erging es nicht anders. Auch wenn der Winter sich hier hartnäckig gehalten hat, entfalten bereits die leuchtend-grünen Wiesen mit einigen blühenden Wildblumen ihren Zauber. Im Dorf herrschte eine entspannte Atmosphäre, die Menschen gingen unterschiedlichen Beschäftigungen nach. Eine Frau wusch mit den Kindern vor dem Haus einen großen Teppich. Ein paar Häuser weiter hackte ein Mann hinter seinem Haus Holz. Aus einem Hof tönte kasachische Popmusik. Manchmal muhte eine Kuh. Junge Frauen schoben Kinderwägen durch die Straßen und kleine Kinder bauten aus Flaschen Konstruktionen, während die älteren auf ihre Smartphones schauend im Schatten fläzten. So lässt es sich leben.
Besonders angetan war Brehm vom Ausflug zum Zhasylkol See, der sich nahe des Dorfes im Dzungarischen Alatau-Kamm versteckt. Smaragdfarbenes Wasser, eingefasst in die Alatau Berge – ein wahres Juwel der Natur. Vielleicht klappt es ja diesmal mit dem Bergsee, dachten wir uns. Bevor wir jedoch das Dorf verließen, machten wir Halt bei einer Imkerin. Denn Lepsi ist seit jeher für seinen exzellenten Honig bekannt. „Hier probiert“, sagte Asja und hielt uns einen Teelöfel mit dem hellgelben Honig hin. Mmmhhmmm…Gekauft!
Der Weg zum See führte an saftigen Wiesen entlang, die sich wie Samt über die Hügel zogen. Dazu ein Fluss, auf dessen Oberfläche die Sonnenstrahlen wie unzählige Diamanten funkelten. Es hätte uns nicht verwundert, wenn sich auch noch Feen und Elfen auf dem Gras getummelt hätten.
Wieso sich zwei Deutsche um diese Jahreszeit in den Bergen tummelten, wunderte jedoch den Schutzgebietsbetreuer. An seiner Hütte hielten wir an und erkundigten uns, wie wir zum See gelangen könnten. Zu Fuß oder mit dem Pferd, lautete seine schlichte Antwort. Mit dem Auto käme man eh nicht nah ran. Zudem sei die Straße durch das Schmelzwasser blockiert. „Ihr müsst im Juni wiederkommen“, sagte er zu uns. Das haben wir in den letzten Wochen mehrmals festgestellt: Kasachstan ist mehr als eine Reise wert.